Idee #1: Pendlerpauschale senken

Die Ökologisierung des Pendlerpauschales war ein erklärtes Ziel der türkis-grünen Bundesregierung. Darunter werden landläufig Maßnahmen verstanden, die zum Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel anregen und die staatliche Förderung des Individualverkehrs reduzieren sollen. Anstatt aber den öffentlichen Verkehr so schnell wie möglich auszubauen und die Gewährung des Pendlerpauschales an die tatsächliche Nutzung von Bus und Bahn zu binden, wurde das Pendlerpauschale angesichts stark gestiegener Treibstoffpreise zwischen Mai 2022 und Juni 2023 sogar um die Hälfte erhöht. Der sogenannte „Pendlereuro“ wurde in diesem Zeitraum gar vervierfacht, die Kosten für beide Maßnahmen lagen bei rund 420 Millionen Euro. Mit Stand September 2023 sind Benzin- und Dieselpreis nun erneut stark im Steigen begriffen. Somit ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis der Ruf nach finanzieller Entlastung für Autofahrer wieder lauter wird.


Eine Senkung des Pendlerpauschales ist politisch zurzeit nicht durchsetzbar, was schade ist, weil man den Menschen das Geld (unabhängig davon, ob sie pendeln oder nicht) in Form von Lohn- und Einkommensteuersenkungen ja wieder zurückgeben könnte. Dennoch wäre der Anreiz größer, auf die günstigeren öffentlichen Verkehrsmittel umzusteigen – wenn diese auch verfügbar sind.


Szenenwechsel: Ilanz, ein kleines Städtchen im ostschweizerischen Graubünden. Pünktlich um 15:30 fährt der Regionalzug aus Chur auf Bahnsteig 1 ein. Exakt fünf Minuten später setzen sich am Bahnhofsvorplatz zehn (!) Busse in Bewegung – in jedes Bergdorf einer. In den Kleinbussen sitzen oft nur ein oder zwei Personen, die Busse in die größeren Ortschaften sind besser gefüllt. Das Generalabonnement – das Schweizer Äquivalent zum österreichischen Klimaticket – ist weit verbreitet, die Verbindungen sind im ganzen Land zahlreich und verkehren pünktlich – es gibt kaum ein Verkehrsbedürfnis, das Bus und Bahn nicht erfüllen können.


Wir wechseln zurück nach Österreich, ich besuche eine Freundin, die zehn Kilometer entfernt vom nächsten Bahnhof in einer Ortschaft mit 500 Einwohnern lebt. Ich habe das Fahrrad dabei, denn Bus gibt es hier am Wochenende keinen einzigen. Am Montag könnte ich immerhin zwischen einer Fahrt um die Mittagszeit und einer Fahrt am späteren Nachmittag wählen. Wäre ich in Graubünden, könnte ich samstags jede Stunde einsteigen, und am anderen Ende würde mich – jedenfalls zu bestimmten Tages- und Jahreszeiten – der kostenlose Wanderbus erwarten, der mich direkt zu meinem Ausflugsziel bringt.


Das Beispiel lässt erahnen, wie sich der Verkehr in Österreich so neu denken ließe, dass das Pendlerpauschale in seiner aktuellen Form abgeschafft werden könnte. Konkret scheint es so, als ob hier drei verschiedene Ebenen neu gedacht werden müssten.

1. Die Erschließung der Fläche


Die Politik könnte sich etwa als Ziel setzen, dass 95 % der österreichischen Haushalte weniger als drei Kilometer entfernt von einer Bus- oder Bahnhaltestelle entfernt liegen, welche von Montag bis Freitag von 5-24 Uhr im Stundentakt und am Wochenende von 6-24 Uhr im Zwei-Stunden-Takt bedient wird. Zu Stoßzeiten werden Verstärkerkurse eingeschoben, am Tagesrand und zu Schwachlast-Zeiten ist auf den Außenästen eine Voranmeldung via App oder per Telefon notwendig. In einigen Jahren könnten die Takte mit autonom fahrenden Minibussen weiter verdichtet werden.


Züge und Busse wären selbstverständlich aufeinander abgestimmt, wenn der Zug fünf Minuten Verspätung hat, wartet der Bus, der, anders als die Eisenbahn, weniger stark auf das exakte Erreichen von Kreuzungsaufenthalten u.ä. angewiesen ist. In Österreich ist es teilweise gelebte Praxis, dass der Postbus, obschon es sich um ein Tochterunternehmen der ÖBB handelt, den Umsteigewilligen vor der Nase davonfährt, wenn die sich um ein paar Minuten verspäten.

2. Die letzte Meile


Von zentraler Bedeutung ist die Absolvierung der letzten Meile – wer z.B. immer darauf angewiesen ist, mit dem Privat-Pkw abgeholt zu werden, wird irgendwann selbst den Pkw aus der Garage holen und damit nicht nur bis zum nächsten Bahnhof, sondern gleich bis ans Ziel fahren.


Ein öffentliches Vorankommen auf den letzten Kilometern ermöglichen österreichweit zahlreiche lokale Mobilitäts-Angebote, zumeist handelt es sich um unterschiedliche Interpretationen des Rufbus-Systems („Anrufsammeltaxi“), wobei auch eine Buchung via App in der Regel möglich ist. Erwähnenswert sind hier etwa das Postbus Shuttle und das ISTmobil.


Beim Postbus Shuttle ist man darum bemüht, gemeinsam mit einzelnen Gemeinden oder Bezirken ein lokales Rufbus-Service zu installieren. Gegen geringe Gebühr wird man am Bahnhof oder einem anderen vordefinierten Haltepunkt abgeholt und zu einem beliebigen anderen Haltepunkt im Bediengebiet gebracht. So ist es im Rahmen einer Kooperation mit dem Bezirk Mödling zum Beispiel möglich, auch spätabends, wenn die letzten Busse abgefahren sind, ohne eigenen Pkw von Mödling  oder Liesing nach Breitenfurt im Wienerwald zu kommen.


Auch das ISTmobil vernetzt in mehreren österreichischen Regionen hunderte vorgegebene Haltepunkte flexibel miteinander – in Untersiebenbrunn im Marchfeld sind es beispielsweise deren 16.


Problematisch ist bei beiden Systemen die dezentrale Organisation, die zahlreichen möglichen Verbindungen werden z.B. in der beliebten „Scotty“-App der ÖBB nicht angezeigt. Wer beispielsweise von der Lerchengasse in Untersiebenbrunn zum Busbahnhof von Großenzersdorf möchte, bekommt in der App eine Kombination aus Fußmarsch, Zug- und Busfahrt angezeigt, am Ziel ist man nach 84 Minuten. Das ISTmobil würde die Strecke in 24 Minuten zurücklegen, wer bei ÖBB und Postbus keine Ermäßigung bekommt, spart beim Fahrpreis von 5,50 € sogar Geld. Es wäre an der Zeit, die Rufbus-Systeme in die bekanntesten Apps zu integrieren und auch kurzfristig verfügbar zu machen.


Für Pendler könnte man abseits der gewöhnlichen Rufbusse auch Sammeltaxis einsetzen, die mehrere individuelle Wünsche längerfristig unter einen Hut bringen – gemeinsam mit mehreren Interessenten werden Route und Fahrplan festgelegt. Die Benützbarkeit von Rufbussen und Sammeltaxis mit dem Klimaticket kostet viel Geld, dieses ist aber wohl besser investiert als beim Pendlerpauschale.


Anstatt das Pendlerpauschale zu erhöhen, könnte man auch die E-Mobilität stärker fördern, insbesondere E-Bikes und E-Lastenräder. An den Bus- und Bahnhaltestellen schafft man sichere Fahrradstellplätze (z.B. in Fahrradboxen oder videoüberwachten Abstell-Anlagen) und – voilà!


Auch abseits der Arbeitswege ließen sich etliche Autos einsparen, indem man beispielsweise in den Gemeinden geförderte Mietauto-Systeme einführt, die kurzfristig online oder über die Gemeinde buchbar sind. Wer zweimal im Monat einen Lieferwagen braucht, muss das entsprechende Gefährt nicht in der Garage stehen haben.

3. Begleitmaßnahmen


In einem zersiedelten Land wie Österreich braucht es darüber hinaus noch einige Begleitmaßnahmen, wenn man die Leute in die öffentlichen Verkehrsmittel bringen will: Keine Flächenwidmung mehr durch die Bürgermeister, Flexibilisierung von Arbeitszeiten (Einführung von Kernarbeitszeiten) etwa im öffentlichen Dienst sowie baulich getrennte Radwege an allen Bundes- und Landesstraßen. In der Peripherie müssen diese Radwege nicht einmal besonders breit sein.


Kurzfristig mag eine Erhöhung des Pendlerpauschales für Erleichterung sorgen, im Interesse der Umwelt sollte aber klar kommuniziert werden, dass die großzügige Förderung des motorisierten Individualverkehrs ein Ablaufdatum hat und dass die entsprechenden Geldmittel in den kommenden Jahren in zunehmendem Ausmaß umgeschichtet werden.

In diesem REX (Regionalexpress) von Györ nach Bruck/Leitha gibt es noch genug Platz.

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