Die WESTbahn – Pro & Contra

Seit Dezember 2011 haben die ÖBB im innerösterreichischen Personenfernverkehr Konkurrenz: Die private WESTbahn verbindet Wien und Salzburg tagsüber meist (wieder) im Halbstundentakt, darüber hinaus werden München, Innsbruck und seit Dezember 2023 auch Bregenz angefahren. In der Vergangenheit wurden auch Freilassing und der Wiener Praterstern angesteuert, in Zukunft möchte man mit neuen, in China gefertigten Zügen neue Ziele anbieten.


Einige Vorteile der WESTbahn liegen auf der Hand: Die Anzahl der verfügbaren Sitzplätze im Fernverkehr wurde deutlich erhöht, den Reisenden stehen mehr Verbindungen zur Verfügung – auch von Wien Westbahnhof und Wien Hütteldorf, die von den ÖBB im Fernverkehr nicht mehr bedient werden.


Etwas schwieriger ist es, den Nachteilen, die sich durch die privaten Züge ergeben, auf die Spur zu kommen. Diese ergeben sich vor allem aus dem Umstand, dass es sich bei der Eisenbahn um ein Gesamtsystem handelt (bzw. handeln sollte): An sogenannten Taktknoten treffen sich zur vollen Stunde die Fernverkehrszüge der betreffenden Strecke(n). Kurz vor den Fernzügen werden diese Umsteigeknoten von den regionalen Zubringerzügen erreicht, die dann wenige Minuten nach dem Fernverkehr wieder in alle Richtungen abfahren. Damit werden auf allen Relationen kurze Umsteigezeiten ermöglicht.


Die WESTbahn muss auf die Anschlusszüge des Mitbewerbers keine Rücksicht nehmen. Sie folgt einem anderen Haltemuster, was auf der gut 300 Kilometer langen Strecke zwischen Wien und Salzburg zwangsläufig zu Trassenkonflikten mit den Fernzügen der ÖBB führt, die entweder schneller oder langsamer als die WESTbahn-Züge unterwegs sind. Fahrplantrassen* sind ein knappes Gut, es ist grundsätzlich wenig sinnvoll, zwei kurze, schnelle Züge, die dieselben Verkehrsbedürfnisse erfüllen, hintereinander auf die Strecke zu schicken. Langsamere Züge (Regionalzüge, Güterzüge) müssen auf ein- und zweigleisigen Abschnitten um diese schnellen Trassen herum geplant werden, an den Taktnoten kommt es zu Verschiebungen. Bei geringfügigen Verspätungen müssen langsamere Züge auf die Seite genommen werden. Der Fahrplan wird insgesamt instabiler.


Bei der WESTbahn zeigen sich diese Verschiebungen unter anderem am Taktknoten Amstetten. Die WESTbahn, die nicht in St. Valentin hält, würde in St. Valentin auf den Railjet der ÖBB auflaufen und hat sich mit dem Wunsch, den Zug der ÖBB in St. Valentin überholen zu dürfen, vor Gericht durchgesetzt. Der ÖBB-Zug muss also bereits einige Minuten vor dem WESTbahn-Zug in St. Valentin eintreffen und daher auch am davorliegenden Taktknoten Amstetten einige Minuten früher abfahren. Das wiederum führt dazu, dass Umsteiger aus Waidhofen/Ybbs den ÖBB-Railjet Richtung Salzburg nicht erreichen. Man versuchte also zunächst, die Fahrzeit auf der eingleisigen Strecke nach Waidhofen zu verkürzen, was dazu führte, dass die Haltestelle Sonntagberg nicht mehr bedient werden konnte. Die Autobusse, die stattdessen in Verkehr gesetzt wurden, wurden selbstredend nicht von der privaten WESTbahn finanziert. Mittlerweile überlässt man die Umsteiger aus Waidhofen Richtung Salzburg der WESTbahn. Die Fahrgäste müssen also in der Regel zwei Fahrkarten lösen. Außerdem sind die WESTbahn-Züge am Zielort meist nicht auf den jeweiligen Regionalverkehr abgestimmt.


Auch im Flachgau besteht durch die größere Zahl an Fernverkehrstrassen ein Flaschenhals. So sah man sich Ende 2017 gezwungen, einige Halte im regional stark nachgefragten Seekirchen zu streichen, um den Fernverkehr nicht aufzuhalten. Mit sprintstärkeren Fahrzeugen und einem dritten Gleis in Neumarkt am Wallersee konnte die Situation Mitte 2021 entschärft werden, allerdings wirken sich bereits geringfügige Verspätungen auf nachfolgende Züge aus.


Von Dezember 2017 bis Dezember 2019 war die WESTbahn auch auf der stark ausgelasteten Wiener Stammstrecke unterwegs, was sehr unregelmäßige Intervalle auf der Flughafen-S-Bahn zur Folge hatte.


Während der Gesetzgeber etwa in der Schweiz dem Taktverkehr absolute Priorität einräumt (und die WESTbahn in absehbarer Zeit allenfalls im Rahmen einer Kooperation mit den SBB ins Land lassen wird), ist die konsequente Bevorzugung von Taktverkehren nach EU-Recht nicht zulässig.


Instabil sind nicht nur Fahrpläne und Taktknoten. Auch das eigene Zugangebot wird von der privaten WESTbahn nach Belieben ausgeweitet oder reduziert, auch innerhalb einer Fahrplanperiode. Der wenig lukrative Tagesrand wird kaum bedient.


Nichtsdestotrotz: Ohne die zusätzlichen Sitzplatzkapazitäten der WESTbahn-Züge wäre es auf einigen Railjet-Destinationen der ÖBB spätestens 2022 zum Kollaps gekommen. Die ÖBB transportierten 2022 im Fernverkehr rund 42 Millionen Fahrgäste, das sind gut 20 % mehr als im Jahr 2012, dem ersten Betriebsjahr der WESTbahn. Neues Rollmaterial in Form von Doppelstock-Railjets wird erst für 2026 erwartet.


Im Gegensatz zu den Railjets der ersten Generation sind alle WESTbahn-Züge barrierefrei. Insbesondere mit Fahrrädern oder Kinderwägen ist der Einstieg in die Railjets der ÖBB schwierig zu bewältigen. Die engen Einstiege führen in Kombination mit dem notwendigen Abfertigungsprozess durch die Zugbegleiter (WESTbahn-Züge müssen nicht abgefertigt werden) oft zu überlangen Haltezeiten. Der Fahrgastwechsel bei den geräumigen WESTbahn-Garnituren ist in der Regel nach etwa einer Viertelminute abgeschlossen. Interessant ist, dass mit Stefan Wehinger dieselbe Person für die Innenausstattung von WESTbahn und Railjet (mit-) verantwortlich war.


Weiters punktet die WESTbahn mit Gratis-Reservierungen und – im Vorverkauf, zu Randzeiten – teils sehr günstigen Fahrpreisen. Diese rabattierten Fahrkarten sind insofern erstaunlich, als die WESTbahn die ÖBB zur Markteinführung 2011 verklagt hatte – mit der Begründung, dass die Sparschiene-Tickets der ÖBB den Wettbewerb verzerren würden. Miteigentümer Hans Peter Haselsteiner hatte sich stets höhere Fahrpreise gewünscht. Konkret sah er 2011 einen Spielraum von „einem Drittel“ nach oben.


Derzeit ist die WESTbahn für Gelegenheitsfahrer ohne VorteilsCard oft günstiger als die ÖBB. Jedoch müssen für Anschlusszüge separate Fahrkarten erworben werden, womit der Preisvorteil oft zunichte gemacht wird.


Grundsätzlich ist es fragwürdig, auf überwiegend öffentlich finanzierter Eisenbahn-Infrastruktur (Das eingehobene Infrastrukturbenützungsentgelt ist nicht kostendeckend) private Gewinne einfahren zu wollen. Jedenfalls dann, wenn die Stabilität des – für das System Bahn überaus wichtigen – Taktverkehrs aufgrund der eingeschränkten Trassenverfügbarkeit darunter leidet. Sinken die Umsätze der ÖBB, steigt die Belastung für den Steuerzahler.

CAT, Regiojet & Co.


Nach dem Abzug der WESTbahn ist es der von ÖBB (!) und Flughafen Wien betriebene City Airport Train (CAT), der auf der Wiener Stammstrecke zusätzliche Trassen belegt und eine Ausweitung des S-Bahn-Verkehrs zum Flughafen verhindert. Dabei ist der CAT eigentlich redundant, weil mit zusätzlichen S-Bahnen wesentlich mehr Menschen in kürzeren Intervallen bewegt werden könnten als mit dem CAT, der keine Zwischenhalte bedient. Ende 2023 war von starker Überfüllung bei einigen S-Bahnen auf dieser Strecke zu lesen.


Weniger dramatisch stellt sich die Situation auf der Nord- und Ostbahn dar, wo das tschechische Unternehmen Regiojet einzelne Verbindungen von Wien nach Prag und Budapest anbietet. Österreichische Fahrgäste profitieren auf der Strecke nach Tschechien davon, dass das Klimaticket bis zur tschechischen Grenzstation Břeclav akzeptiert wird. Auch Richtung Ungarn ist das „Stückeln“ erlaubt, bei Besitz eines Klimatickets ist es – anders als bei den ungarischen Staatsbahnen – möglich, einen günstigen Binnenfahrschein für Ungarn zu erwerben.


Saisonale Urlauberzüge privater Anbieter, die etwa Kärnten mit der Türkei oder Schweden mit Tirol verbinden, kommen dem Taktverkehr ebenso wenig in die Quere wie der frühmorgendliche von Gepard Express geführte D-Zug von Brno zum Flughafen Wien.


Das Fazit? Momentan halten sich die negativen Auswirkungen durch die WESTbahn für die Fahrgäste auf der Westbahnstrecke in Grenzen, die zusätzliche Kapazität wird auch in den kommenden Jahren dringend gebraucht werden. Allerdings ist davon auszugehen, dass die WESTbahn auch in Zukunft jederzeit bereit sein wird, die ÖBB zu verklagen, wenn sie ihre Wünsche (die nach Fertigstellung von Semmering- und Koralm-Basistunnel auch  die Südbahn betreffen könnten) nicht ausreichend berücksichtigt sieht. Das Gesamtsystem in Form des integrierten Taktfahrplans hat sie dabei freilich nicht im Auge.

 

*Eine Trasse ist die zeitliche und räumliche Belegung eines Streckenabschnitts durch einen Zug

Ein WESTbahn-Zug am Praterstern im Herbst 2019. Die WESTbahn-Fahrten wirkten sich auch auf die Verbindungen auf der Flughafen-S-Bahn aus.

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