Zielnetz 2040

Am 25.01.2024 wurde von ÖBB-Chef Matthä und Umweltministerin Gewessler das sogenannte Zielnetz 2040 präsentiert. Selbiges ist als Absichtserklärung von Politik, ÖBB und SCHIG (Schieneninfrastruktur-Dienstleistungsgesellschaft, untersteht dem Umweltministerium) zu verstehen und knüpft an das Zielnetz 2025+ an. Wesentlich konkreter als das Zielnetz sind die Rahmenpläne, die jedes Jahr aktualisiert werden und einen Planungszeitraum von fünf Jahren umfassen.


Vom Zielnetz 2025+ wurde (wird) der überwiegende Anteil der Projekte umgesetzt, wenn auch teils mit erheblicher Verspätung – der viergleisige Ausbau Linz–Wels war, um ein Beispiel zu nennen, bereits im Rahmenplan 2013 angekündigt, tatsächlich ist man im Jahr 2024 immer noch überwiegend mit Vorarbeiten beschäftigt. Einzelne Projekte aus dem Zielnetz 2025+ wurden ganz verworfen, wie z.B. die Schleife Wulkaprodersdorf (Eisenstadt), die nach Anrainerprotesten nicht gebaut werden wird. Wieder andere Projekte, die im Rahmenplan 2024-2029 verankert sind und als fix gelten, werden im Zielnetz 2040 nicht mehr gesondert aufgeführt. Dazu gehören die Flughafenspange (Flughafen Wien–Trautmannsdorf/Leitha) und die Direktanbindung Horn (Verknüpfung mit der Franz-Josefs-Bahn).


Welche Projekte werden im Zielnetz 2040 angekündigt? Überwiegend handelt es sich um selektive* zwei- bzw. mehrgleisige Ausbauten von Bestandsstrecken, Ankündigungen häufigerer Zugverbindungen auf bestimmten Strecken und vereinzelte Geschwindigkeitsanhebungen. Auch einige Streckenbegradigungen werden in Aussicht gestellt.


Sehr sinnvoll erscheint etwa die (noch nicht im Detail) geplante Begradigung zwischen Bruck/Leitha und Neusiedl/See, wobei man auch zwischen Neusiedl/See und Neusiedl/See Bad mit einem kleineren Ausbau einiges an Fahrzeit einsparen könnte.


Die Wiederaufnahme des Personenverkehrs zwischen Wien Erzherzog-Karl-Straße und Wien Süßenbrunn ist erfreulich, ebenso die Verlängerung der S45 zum Praterkai (mit Umsteigemöglichkeiten zu U1 und U2). Auch die vor Jahren zu Grabe getragene Schleife Selzthal scheint in den Planungen wieder auf. Diese könnte die Fahrzeit zwischen Graz und dem Ennstal um etwa zehn Minuten reduzieren, weil das Stürzen** in Selzthal entfällt.


Interessant ist weiters der angedeutete drei- oder viergleisige Ausbau zwischen Wr. Neustadt und St. Egyden – damit und mit der Verlegung des Südbahn-Fernverkehrs auf die Pottendorfer Linie wäre es u.U. möglich, RJ und CJX in Wiener Neustadt gleichzeitig ankommen und abfahren zu lassen, was die Aufenthaltsdauer der CJX-Züge in Wiener Neustadt verringern würde. Alle geplanten Projekte sind in dieser Präsentation zu finden.


Kommen wir zu den im Zielnetz 2040 vorgesehenen Großprojekten. Diese sind der Neubau des Bosrucktunnels, der seit längerem bekannte Bau des Flachgauertunnels (Neumarkt/Wallersee–Salzburg), der viergleisige Ausbau Graz–Frohnleiten, eine nicht näher spezifizierte zweigleisige Neubaustrecke vom Wiener Hbf zum Flughafen Wien und die NIB (Neue Innkreisbahn).


Der Ausbau zwischen Graz und Frohnleiten ist im Kontext von Semmering-Basistunnel, Koralmtunnel und ITF*** sehr begrüßenswert, zu hoffen ist, dass eine möglicherweise angedachte durchgehende Tunnelverbindung nicht vor Frohnleiten, sondern erst im Bereich Röthelstein endet. Damit wäre die angestrebte Kantenfahrzeit**** Graz–Bruck/Mur von 30 Minuten auch ohne weitere Ausbauten leicht zu erreichen.


Nicht durchdacht scheint hingegen die (auch für Insider überraschende) Ankündigung der Neuen Innkreisbahn. Ankündigt wird eine zweigleisige Neubaustrecke von Wels zur Staatsgrenze nahe Simbach, wo die Verknüpfung zur deutschen ABS 38 nach München hergestellt werden soll. Die in der Präsentation genannte Fahrzeit von 2:30 Stunden zwischen Wien und München scheint völlig utopisch, da die ABS 38 nur für 200 km/h (im Grenzabschnitt bei Simbach max. 160 km/h) ausgebaut werden soll und unzureichend an den Münchner Hauptbahnhof angebunden ist. Eine Neubaustrecke durchs Innviertel würde Milliarden verschlingen und die Fahrzeit von Wien nach München im Vergleich zu alternativen Projekten letzten Endes nur unwesentlich verkürzen – wobei die Alternativen im Gegensatz zur NIB auch dem innerösterreichischen Verkehr zugutekommen würden.


Bei diesen Alternativen handelt es sich in erster Linie um eine – im Zielnetz 2040 nicht vorgesehene – Neubaustrecke aus dem Bereich Attnang-Puchheim nach Neumarkt/Wallersee. Eventuell ließe sich auch mit zwei kürzeren Neubaustrecken (Timelkam–Vöcklamarkt und Frankenmarkt–Neumarkt) eine Fahrzeit von 45 Minuten zwischen Linz und Salzburg (und damit 120 Minuten zwischen Wien und Salzburg) verwirklichen. Auf deutschem Staatsgebiet wäre zudem auf einen konsequenten Ausbau Salzburg–Brenner-Nordzulauf (Bereich Rosenheim) hinzuwirken, da dieser sowohl auf der Relation Wien–Salzburg–München als auch auf der Relation Wien–Salzburg–Innsbruck zu bedeutenden Fahrzeitverkürzungen führen würde. Auch unter der Prämisse, dass Österreich Neubauabschnitte in diesem Bereich finanziert, scheint mittelfristig jedoch nur eine Anbindung an den Brenner-Nordzulauf bei Stephanskirchen realistisch zu sein. Dennoch müssen aus österreichischer Sicht Neubaustrecken von Freilassing nach Bergen und von Bernau nach Rohrdorf (alternative Einbindung in den Brenner-Nordzulauf) das Ziel sein.


Aber auch ohne die genannten Streckenausbauten auf deutschem Staatsgebiet ist klar: Eine Verbesserung der Linienführung zwischen Attnang-Puchheim und Neumarkt/Wallersee würde – im Gegensatz zur NIB – auch die wichtige innerösterreichische Relation Wien–Salzburg (–Innsbruck) attraktivieren und nebenbei Milliarden Euro einsparen. Der Zusatznutzen einer Neuen Innkreisbahn scheint den enormen Mehraufwand nicht annähernd zu rechtfertigen.


In Summe handelt es sich beim Zielnetz 2040 um eine beachtliche Zahl von überwiegend sehr sinnvollen Ausbauprojekten. Weiterhin unberücksichtigt bleiben jedoch die Reaktivierung bzw. der Neubau von Lokal- und Regionalbahnen (Melk–Krems wäre als Beispiel für eine Regionalbahn mit Potenzial zu nennen).


Vertane Chancen sind Attnang-Puchheim–Neumarkt/Wallersee und die Nicht-Verknüpfung von S45 und S80. Längerfristig wären neben dem weiter oben diskutierten Korridor über das Deutsche Eck (Salzburg–Brenner-Nordzulauf) etwa eine deutliche Attraktivierung der Franz-Josefs-Bahn, eine bessere Anbindung des Außerfern und Ausbauten am Arlberg wichtige Projekte.


* Unter „selektiven“ Ausbauten versteht man Ausbauten, die vergleichsweise kurze Abschnitte umfassen. Typisch sind sogenannte „Zweispur-Inseln“, die Verzögerungen bei Zugkreuzungen reduzieren sollen.
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*** Integraler (oder Integrierter) Taktfahrplan: Fahrplan, in dem Züge in regelmäßigen Abständen verkehren (z.B. verlässt der RJX Richtung Salzburg den Wiener Hauptbahnhof stündlich zur Minute .28)
**** Kantenfahrzeiten sind im ITF die Fahrzeiten zwischen zwei benachbarten Taktknoten abzüglich der (anteiligen) Haltezeiten am Start- und Zielbahnhof. Bei einer typischen Kantenfahrzeit von 30 bzw. 60 Minuten werden Fahrzeiten von max. 28 bzw. 58 Minuten angestrebt (Ggfs. werden noch Reserven abgezogen).

Mit der Verlegung des Fernverkehrs in den Flachgauertunnel werden am Wallersee Kapazitäten für den Nahverkehr frei.

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