Eine Anschluss-Geschichte

Am 2. März 2024 erreichte ich mein Reiseziel mit nur 11 Minuten Verspätung. Weil die Geschichte jedoch prototypisch ist und zeigt, was einige Minuten Verspätung manchmal bewirken können, möchte ich sie trotzdem erzählen.


An jenem Samstag habe ich mit Familienmitgliedern aus Linz und dem Mostviertel einen Tagesausflug nach Budweis unternommen. Um 20:05 ging es mit dem Eurocity von Budweis zurück nach Linz, die Ankunft in Linz erfolgte, weil wir auf der eingleisigen Strecke einen Gegenzug abwarten mussten, mit wenigen Minuten Verspätung. Kein Problem, der Railjet-Express nach Wien mit Abfahrt um 22:17 konnte ohne weiteres erreicht werden. Und auch dieser Zug war bereits seit Bregenz pünktlich unterwegs.


Kurz vor St. Pölten hielten wir auf freier Strecke, weil „der Bahnsteig noch nicht frei war“. Mit vier Minuten Verspätung wurde die Fahrt fortgesetzt, in Meidling hatte ich laut Plan sieben Minuten zum Umsteigen. Zehn Minuten vor der – vermeintlichen – Ankunft in Wien Meidling begab ich mich zu dem Ausstieg, der dem Stiegenabgang in Meidling am nächsten lag, um dort im Fall der Fälle den kürzestmöglichen Weg zu haben.


Dort, wo sich der Wienerwaldtunnel und der Lainzer Tunnel an der westlichen Wiener Stadtgrenze in der sogenannten Weichenhalle treffen, bremste der Zug nicht auf die dort fahrbaren 160, sondern auf 60 km/h ab. Im Internet konnte ich anschließend lediglich herausfinden, dass der vorfahrende, stark verspätete ICE aus Dortmund in diesem Streckenabschnitt ebenfalls acht Minuten zusätzliche Verspätung aufgerissen hatte – warum der neben dem RJX hochrangigste Fernverkehrszug im ÖBB-Netz hier keine freie Fahrt hatte, ließ sich nicht eruieren. Lt. Fahrplan waren sonst zu dieser Zeit weit und breit keine Züge unterwegs in diesem Abschnitt.


Wie dem auch sei, nach einigen Minuten beschleunigte unser Zug wieder. Am Monitor wurde eine Ankunft um 23:31 prophezeit, also sechs Minuten Verspätung. Den D-Zug mit Abfahrt um 23:32 konnte ich mir abschminken, für den REX um 23:37 bestand hingegen noch Hoffnung. Unmittelbar vor dem Ausgang des Lainzer Tunnels blieb der RJX dann wieder stehen. Unser Bahnsteig war eben wieder einmal vom vorausfahrenden ICE belegt, die benachbarten Bahnsteige ebenfalls noch nicht frei. Um 23:35 gingen die Türen auf. Ich war als Erster am Bahnsteig (7), sprintete los, bremste beim Monitor kurz, um mich zu vergewissern, dass der D-Zug schon weg war, und rannte zum Bahnsteig 1, um den REX um 23:37 zu erwischen. Ich erreichte die Zugtür im allerletzten Moment, denn der Zug wartete keine einzige Sekunde.


Mit 11 Minuten Verspätung war ich in Baden. Alle anderen Anschlussreisenden nach Baden und Wiener Neustadt hatten eine halbe Stunde Verspätung. Sollte jemand auf dem Weg nach Graz gewesen sein, musste er sich in Wien ein Hotel nehmen.


Sind 11 Minuten Verspätung ein Drama? Nein. Sind 30 Minuten Verspätung ein Drama? Wenn man nicht gerade zur Arbeit muss, im Prinzip auch nicht (eine unfreiwillige Hotelnacht schon eher). Das Problem ist vielmehr, dass sich derartige Situationen Tag für Tag tausendfach abspielen. Alle zittern um ihren Anschluss, alle rennen. Tausende verpassen jeden Tag ihre Anschlüsse, ihre reservierten Sitzplätze und ihre Termine.


Als der Zug kurz vor dem Bahnhof noch einmal im Tunnel anhielt, fiel mir ein, dass ich einige Wochen zuvor meinen Anschluss versäumt hatte, weil mein CJX einige Minuten in der Meidlinger S-Bahn-Unterwerfung auf einen freien Bahnsteig gewartet hatte (Ich musste damals eine Stunde auf den nächsten Zug warten – dutzende Male habe ich in den letzten Jahren in diesem Tunnel um meinen Anschluss gebangt). Und beim letzten Ausflug hatte mein Railjet eine halbe Stunde Verspätung gehabt. In den letzten zwei Monaten habe ich fünf Ausflüge gemacht, bei denen ich umsteigen musste. Dreimal ist was schiefgegangen, die Verspätungen am Zielort betrugen 11, 30 und 60 Minuten. Wenn ich an die letzten fünf Jahre zurückdenke, entspricht das ungefähr dem Schnitt. Es gibt keine Statistik, in der versäumte Anschlusszüge aufscheinen.


Die Lösungsvorschläge? Der D-Zug hätte am besagten 2. März sieben Minuten warten können, weil er an diesem Tag der letzte Zug nach Graz war. Eine Vormeldung von Anschlusswünschen durch die Zugbegleiter ist nicht mehr vorgesehen, die Schaffnerin hatte sich zwischen Linz und Wien auch gar nicht blicken lassen. Der REX und die nachfolgende S-Bahn wären entsprechend mit 3-4 Minuten Verspätung abgefahren.


Auch einmal gesagt gehört folgendes: Ein Fahrplan, der flächendeckend dermaßen auf Kante genäht ist, dass geringste Abweichungen permanent negative Kettenreaktionen in Gang setzen, ist kein guter Fahrplan. Eine Infrastruktur, die kaum noch Reserven bereithält (etwa zusätzliche Bahnsteige, damit Züge in Österreich nicht hunderte Male pro Tag auf die Einfahrt warten müssen), ist eine Infrastruktur, die schlicht nicht ausreichend ist.

Neuer Tag, neues Glück: Am 13. April 2023 bin ich in Wien Hbf gestrandet.

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