Reservierungspflicht im Fernverkehr – Pro & Contra

Sobald irgendwo von überfüllten Zügen berichtet wird*, ist sie wieder da: Die reflexartige Forderung nach einer Reservierungspflicht in österreichischen Fernzügen. In diesem Texte möchte ich darlegen, warum ich diese Forderung nicht gut finde.


In Frankreich, Spanien und Italien sind Fernzüge reservierungspflichtig. Was sind die Vorteile? Das Verkehrsunternehmen profitiert von Kosteneinsparungen, weil nicht auf Verdacht zusätzliche Kapazitäten bereitgestellt werden müssen: Es ist genau bekannt, wie viele Leute mit welchem Zug reisen werden (und reisen können). Die Bahn profitiert ebenso wie der Fahrgast davon, wenn jeder einen Sitzplatz hat: Niemand ärgert sich, weil er stehen muss. Verkehrsspitzen werden abgefedert, die Fahrgäste verteilen sich besser auf die einzelnen Verbindungen (weil sie keine andere Wahl haben).


Die Kehrseite: Es leidet die Flexibilität. Niemand kann kurzentschlossen in einen Zug einsteigen. Wird eine bestimmte Strecke regelmäßig zurückgelegt oder muss umgestiegen werden, summieren sich bald auch die Kosten für die einzelnen Reservierungen, sofern diese nicht (wie z.B. bei der WESTbahn) inkludiert sind.


Im derzeitigen „offenen System“ kommt es vor, dass Fahrgäste stehen müssen – und das sollte meiner Meinung nach auch so bleiben: Wer wirklich will, kann fast immer einen Platz ergattern, auf dem beispielsweise ein Rucksack „sitzt“ – und im Übrigen einfach einsteigen, wann und wo er möchte. Wer auf jeden Fall sitzen möchte, hat die Möglichkeit, freiwillig zu reservieren.


Auch ohne Reservierungspflicht gibt es eine Möglichkeit, die Fahrgäste besser zu verteilen – gefragt ist ein gezielteres Yield Management: Derzeit stehen für alle Fernverkehrsverbindungen kontingentierte Sparschiene-Tickets zur Verfügung. Da man viele Züge mittlerweile aber nicht mehr beliebig mit einzelnen Wagen verstärken kann (bei Railjets ist man davon nach wenigen Versuchen schon vor Jahren endgültig abgekommen), gibt es keinen Grund mehr, für Fahrten in erfahrungsgemäß stark ausgelasteten Zügen vergünstigte Fahrkarten anzubieten. Stattdessen könnte man für Verstärkerzüge, die, obwohl sie teilweise im Blockabstand** zu Taktzügen*** verkehren, oft sehr schwach ausgelastet sind, vermehrt rabattierte Tickets anbieten.


Ein Extrembeispiel sind die Weihnachtsfeiertage: Während die Taktzüge wegen Überfüllung oft schon am Ausgangsbahnhof Verspätung haben, fahren die Zusatzzüge schwach ausgelastet oder beinahe leer herum – im Schnellzug von Wien Richtung Dornbirn habe ich am Vormittag des 24.12. stets ein leeres Sechser-Abteil gefunden. Wenn man für diesen Zug, der aus bis zu acht Wagen 2. Klasse gebildet wird, 300 Sparschiene-Tickets anbieten würde und für die Mehrheit der Taktzüge überhaupt keine – dann könnte man schon eine nennenswerte Zahl an Reisenden umschichten. Kurzstreckenreisende könnte man aus den Fernzügen abziehen, indem man etwa auch für CJX-Züge Sparschiene-Tickets einführt: von Wien nach St. Pölten, Amstetten oder Wiener Neustadt, von Innsbruck nach Wörgl oder Kufstein.


Ein meines Erachtens schlechter Lösungsansatz, der von den ÖBB für die Südbahn erwogen wird, ist, einige Züge in Wiener Neustadt durchfahren zu lassen. Die bessere Lösung wäre, Züge Richtung Süden nur zum Einsteigen und Züge Richtung Norden nur zum Aussteigen halten zu lassen (Wer trotzdem in den Zug, der dann auf den Monitoren und in der App nicht aufscheint, einsteigt, muss einen Aufpreis zahlen). Die übrigen Fahrgäste sind im – genauso schnellen, im Blockabstand verkehrenden – CJX ebenso gut aufgehoben.


Verstärkerzüge sollten, wo es möglich ist, vor den Taktzügen geführt werden – man entscheidet sich in der Regel für denjenigen Zug, der einen schneller ans Ziel bringt.


Darüber hinaus sollte der Preis für Online-Reservierungen auf 1 € gesenkt werden – dann ist man, wenn man doch wieder einmal stehen muss im Zug, irgendwo auch einfach selber schuld. 1 € ist ein Preis, den man auch auf kürzeren Strecken gerne investiert.


Mit diesen Maßnahmen ließen sich Zwangsmaßnahmen, die dem bewährten Prinzip des offenen Systems zuwiderlaufen, verhindern.


* Von Überfüllungen wird meist berichtet, wenn Zugbegleiter Reisende hinauskomplimentieren oder Züge polizeilich räumen lassen – das negative Medienecho (etwa im Frühling 2022, als etliche Züge geräumt wurden) hat die ÖBB mittlerweile davon überzeugt, von dieser Praxis fast vollständig abzulassen.
** Es kann sich zu einem gegebenen Zeitpunkt nur ein Zug in einem Streckenabschnitt befinden, der mit einem Hauptsignal gesichert ist (Blockabschnitt). Wenn zwei Züge in hintereinanderliegenden Abschnitten unterwegs sind, fahren sie im Blockabstand.
*** In einem Taktfahrplan verkehren die Züge auf einer Linie in regelmäßigen Abständen. Die Railjets, die Wien Hbf stündlich zur Minute .55 Richtung Salzburg Hbf verlassen, sind Beispiele für Taktzüge.

 

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