Das Verspätungs-Tagebuch

#7 Kundeninformation im Störungsfall


Ein großes Problem im Störungsfall ist und bleibt die Kommunikation. Dass es unmittelbar nach einem Zwischenfall keine belastbaren Infos gibt, wie es weitergeht, liegt in der Natur der Sache, der folgende typische Zwischenfall vom 04.04.2025 ist in meinen Augen wieder einmal ein Plädoyer für einen Bus-Bereitschaftsdienst (zumindest in Wien):


Kurz bevor unser Zug am 04.04.2025 aus Bratislava kommend um 11:59 in Gramatneusiedl einfährt, erfahren wir vom Lokführer, dass der Zug in Gramatneusiedl aufgelöst wird. Grund ist eine Störung (übrigens die zweite in diesem Abschnitt an diesem Tag). Der Lokführer verweist auf den Schienenersatzverkehr.


Der am Nachbargleis stehende EC 140 (Tschop–Wien, mit Kurswagen aus Kiew) zeigt mir, dass die Störung seit mindestens 45 Minuten besteht, Personal oder gar ein Bus stehen trotzdem nicht bereit. Alle Reisenden sind, wie im Störungsfall üblich, sich selbst überlassen.


Im betroffenen Abschnitt pendelt bereits seit etlichen Wochen ein Schienenersatzverkehrsbus, weil aufgrund von Bauarbeiten die S-Bahnen entfallen. Wir schlendern also zur Bushaltestelle, wo der besagte Bus einige Minuten vor Planabfahrt um 12:25 eintrifft – und zwar nur der besagte Bus. Er fasst weniger als die Hälfte der Reisewilligen.


Wir haben uns ohnehin bereits eine alternative Reiseroute nach Baden überlegt (mit dem Bus über Ebreichsdorf, um 12:40), da fährt der nächste Zug Richtung Wien ein. In der App steht, dass er ausfällt, am Monitor steht, dass er fährt, planmäßig um 12:33. Ein Teil der zurückgelassenen Reisewilligen rennt zurück auf den Bahnsteig, ich blockiere für einige Nachzügler eine halbe Minute lang die Tür (so viel Solidarität, besser gesagt Selbsthilfe, muss sein). Um 12:38 (kurz, nachdem sich der Zug aus Kiew in Bewegung gesetzt hat, die Störung also offensichtlich behoben werden konnte) dann die Durchsage, dass auch dieser Zug aufgelöst wird. Wir rennen zurück und erwischen gerade noch den Bus nach Ebreichsdorf. Obwohl der Anschlussbus nach Baden an der notorischen Kreuzung in Ebreichsdorf City fünf Minuten im Stau steht, haben wir die schnellste Verbindung gewählt – mit dem ersten wieder fahrenden Zug wären wir etwas später angekommen, mit dem SEV-Bus (auch mit dem ersten, der nur einen Teil der Reisenden aufnehmen konnte) ebenso. Gut zweieinhalb Stunden Fahrzeit und zwei Sprints für 62 km Luftlinie (76 km sind es mit dem Auto von Kittsee nach Baden).

 


#6 Minimalverspätungen


Die meisten Züge sind nicht mit einer halben Stunde Verspätung unterwegs. Die meisten Züge sind nicht einmal mit zehn Minuten Verspätung unterwegs. Sie sind aber mit zwei, drei, vier oder fünf Minuten Verspätung unterwegs – und auf stark ausgelasteten Strecken, die nicht mit dem modernsten Zugsicherungssystem ausgestattet sind, sind die meisten Anschlussverluste und Folgeverspätungen auf genau diese Minimalverspätungen zurückzuführen.


5. Februar 2025. Ich möchte in Baden den CJX mit der Planabfahrt um 9:45 nehmen. Es ist 9:43, als ich am Bahnsteig 2 ankomme, soeben fährt mit vier Minuten Verspätung die S-Bahn ab. Die S-Bahn lässt an der nächsten Station (Pfaffstätten) den RJ und den CJX überholen, was für mich heißt, dass vor meinem Zug ein weiterer Zug durchfahren wird. Es wird also im besten Fall 9:48, bis mein – bis zuletzt pünktlich angezeigter – CJX abfährt.


Tatsächlich wird es 9:49. Die Ankunft am Wiener Hauptbahnhof wird – bis zuletzt – mit 10:05 angegeben, was zwei Minuten Verspätung bedeuten würde und meinen Anschluss um 10:09 knapp nicht gefährden würde. Als wir um 10:02 den Bahnhof Meidling verlassen, weiß ich, dass es 10:07 wird. Um 10:07 öffnen sich auf Bahnsteig 2 (unterirdisch) die Türen, ich sprinte auf Bahnsteig 10.


Weil der Hauptbahnhof zu klein dimensioniert wurde, teilen sich des Öfteren zwei Züge einen der oberirdischen Bahnsteige. So auch heute: Als ich es keuchend auf den Bahnsteig geschafft habe, sehe ich meinen REX etwa 100 Meter weiter vorne stehen. Die Rücklichter verschwimmen mit dem Horizont. Doch der Lokführer wartet noch ein paar Sekunden. Ich steige ein und der Zug fährt ab.


Im konkreten Fall wäre ich auch selber schuld gewesen, die sechs Minuten liegen am Hauptbahnhof unter der offiziellen Mindestübergangszeit, die Verbindung scheint in der Fahrplanauskunft nicht auf. In sehr, sehr vielen anderen Fällen verhält es sich jedoch anders: Die Anschlüsse werden aufgrund einer zwei- oder dreiminütigen Verspätung nicht erreicht und zahlreiche andere Züge werden ebenfalls aufgehalten. Auf eingleisigen Strecken verschieben sich Zugkreuzungen, Verspätungen werden auf die Rückleistung übertragen usw. usf.


Die verpassten Anschlüsse scheinen in keiner Statistik auf: Ein Zug, der 5 Minuten und 29 Minuten verspätet ist, zählt in Österreich als pünktlich. Viele Anschlüsse sind bei einer fünfeinhalb-minütigen Verspätung aber nicht mehr zu erreichen.

 


#5 Warten auf die Lok (30.01.2025)


Bei meinem ersten Ausflug heuer ist mein Zug nach Wien ausgefallen, ich habe den Anschluss in Meidling aber haarscharf auch mit dem nächsten Zug noch erwischt.


Dann war ich bei meinem zweiten Ausflug am 30. Jänner 2025 unvorsichtig genug, eine Fahrt mit dem D 1018 zu wagen, der, wie man hört, zu Verhaltensauffälligkeiten neigt.


Als ich in die am Westbahnhof bereitgestellte Garnitur einstieg, fiel mir auf, dass die Lok fehlte. Planabfahrt ist um 8:45, in den verbleibenden fünf Minuten kann sich sowas, wie man weiß, unmöglich ausgehen. Und richtig – der Schaffner informierte uns, dass wir „aus betrieblichen Gründen“ mit 30-40 Minuten Verspätung zu rechnen hatten.


Um 9:15 wurde die Lok angehängt, der Schaffner verkündete, dass wir in Kürze abfahren würden. Doch der Zug stand noch bis 9:30, was dem Schaffner, während er, um uns auf die Fahrt einzustimmen, schon einmal die geplanten Zwischenhalte verkündete, ein Seufzen entlockte (wahrscheinlich nicht nur ihm).


Kennt ihr dieses Gefühl? Wenn sich ein Termin oder ein Anschlusszug gerade noch ausgehen würde, wenn der Zug JETZT ENDLICH losfahren würde? Und der Zug dann nicht auf euch hört?

 


#4 Tipps und Tricks (17.01.2025)


In letzter Zeit ist verspätungstechnisch nicht viel Aufregendes passiert (Allerdings habe ich auch keine aufregenden Reisen getätigt): ein Zug, der auf dem Weg nach Wiener Neustadt überraschend in Leobersdorf „aufgelöst“ wurde, Verbindungen, die als verspätet angezeigt werden und dann doch pünktlich abfahren (weil sich die prognostizierte Verspätung eines Schnellzugs, der abgewartet werden sollte, erhöht hat), pünktliche Züge, die unterwegs auf die Seite genommen werden, um unpünktliche, schnellere Züge vorbeizulassen (z.B. ein CJX in Baden, der eigentlich dieselbe Fahrzeit wie der nachfolgende IC hat, welcher beim langsamen Überholen am Gegengleis nicht eine Minute Verspätung gutmacht, während der CJX jetzt ebenfalls fünf Minuten Verspätung hat), die tägliche Überlastung auf der Wiener Stammstrecke, wo mit großer Regelmäßigkeit CJX-Verbindungen nach Floridsdorf am Prater aufgelöst werden, um die Verspätung nicht auf die Rückleistung zu übertragen (Am 05.12.2024 wurde mein CJX in Wien Praterstern aufgelöst, obwohl er pünktlich unterwegs war).


Seit gut einem Jahr überprüfe ich, bevor ich Richtung Arbeit aufbreche, online, ob mein Zug (a) fahren wird und (b) pünktlich unterwegs ist (bzw. alternativ, ob es einen verspäteten Zug gibt, der voraussichtlich kurz vor der gewünschten Zeit fahren wird), und wenn ich wirklich pünktlich sein muss und einen Zug nicht „kenne“, schaue ich (c) auf www.oebb.at/de/fahrplan/verspaetungsbestaetigung nach, wie zuverlässig der Zug in der letzten Woche war und wie viel Verspätung ich daher voraussichtlich maximal zu erwarten habe*. Die Kombination aus beidem schafft Sicherheit, denn einige Züge verspäten sich regelmäßig erst dann, wenn ich schon auf dem Weg zum Bahnhof bin. Beispielsweise haben einige CJX-Verbindungen Richtung Payerbach-Reichenau in der HVZ planmäßig sieben Minuten Aufenthalt in Meidling. Sie verlassen den Bahnhof also zumeist pünktlich, laufen dann aber trotzdem auf die in der HVZ verspätete S-Bahn auf.


* Gelegentlich prüfe ich auch, ob (d) eine bestimmte S-Bahn, auf die mein CJX üblicherweise aufläuft, pünktlich unterwegs ist.

 


#3 Es war gut gemeint (03.12.2024)

 

Heute, am 3. Dezember 2024, fiel mein REX von Wien Mitte nach Baden aus. Ich stieg also in die nachfolgende S-Bahn ein. Diesmal hatte man es geschafft, ab Wien Meidling einen Ersatzzug für den entfallenen REX anzubieten. Dieser wurde nicht kommuniziert, man sah ihn in Meidling aber trotzdem am gegenüberliegenden Bahnsteig stehen, allerdings nur eine Sekunde lang, weil er die Türen schon geschlossen hatte und pünktlich abfuhr … Das erforderliche Mindestmaß an Flexibilität (dass halt einfach jemand mitdenkt bzw. mitdenken darf) ist und bleibt Utopie.


Ein anderes typisches Beispiel: Der REX mit Abfahrt in Baden um 8:07 fällt aus, der vorfahrende REX mit Abfahrt um 7:53 hat 12-13 Minuten Verspätung. Würde der verspätete Zug noch 1-2 Minuten warten, wäre der Ausfall des Folgezugs kein Drama, der verspätete Zug würde einfach die Trasse des ausgefallenen Folgezuges übernehmen. Aber auch das wurde meines Wissens noch nie praktiziert und wird wohl auch nie praktiziert werden.

 


 #2 Wenn einem der Anschluss vor der Nase davonfährt (09.09.2024)

Drei- oder viermal pro Jahr verschlägt es mich in die schöne Obersteiermark, ungefähr genauso oft zittere ich dort um meinen Anschluss – denn die Railjets, die mich (fast) an mein Ziel bringen, kommen aus Tschechien und sind regelmäßig verspätet. Der Anschlusszug ins Tal fährt zumeist nur alle zwei Stunden, dazwischen verkehren einzelne lahme Busse.


Die Gegenrichtung ist eigentlich unproblematisch – da kommen die Railjets aus Graz und sind, wenn ich in Bruck an der Mur zusteige, erst eine gute halbe Stunde unterwegs. Um nach Bruck an der Mur zu kommen, fahre ich zunächst eine knappe Viertelstunde nach St. Michael. In St. Michael wartet jeweils schon der Zug nach Bruck an der Mur.


Am 9. September hatte mein Zug bei der Ankunft in St. Michael zwölf Minuten Verspätung – er hatte kurz vor dem Ziel auch noch die Kreuzung mit dem in die Gegenrichtung fahrenden Intercity abwarten müssen. Die Umsteigewilligen, etwa 20 an der Zahl, standen überwiegend mit mir bei der ersten Tür, weil es von dort nur wenige Meter bis zum Anschlusszug sind – die zwei Züge stehen in St. Michael Nase an Nase. Ich war der Erste am Bahnsteig, erreichte mit wenigen Schritten die letzte Tür des Anschlusszuges – als sich dieser eben in diesem Moment in Bewegung setzte. Er hatte sieben Minuten gewartet, um dann zwei Sekunden, bevor ich die Tür geöffnet und alle ihren Anschluss erreicht hätten, doch abzufahren. Kein Blick zurück des Lokführers, keine Kommunikation zwischen Fahrdienstleiter und Lokführer, niemand, der in solchen Momenten ein Auge darauf hat, dass der Anschluss funktioniert. Ein mitreisender Steirer fasste die Situation zusammen: „Mehr geht neama!“

 


#1 Weltrekord (18.05.2024)

 

Am 18. Mai 2024 reiste ich von Baden nach Annaberg an der schönen Mariazellerbahn, die Umsteigezeit in St. Pölten Hbf betrug planmäßig sieben Minuten. Mein Railjet war pünktlich unterwegs, bis er wenige Kilometer vor St. Pölten plötzlich nur mehr Schritttempo fuhr. Warum? Man weiß es nicht.

 

Ich verbrachte die nächsten Minuten damit, zu berechnen, bei welcher Zugtür sich ungefähr der Abgang befinden würde, und meine Rechnung stimmte ganz genau. Als der Zug rund 45 Sekunden vor Planabfahrt der Mariazellerbahn auf Bahnsteig 5 hielt, sprang ich aus der Tür und stellte (mutmaßlich) einen Weltrekord im 300-Meter-Bahnsteiglauf auf, denn der Weg zu den Bahnsteigen der Mariazellerbahn ist ziemlich lange.

 

Mit etwa zehn Sekunden Verspätung stürmte ich auf den Bahnsteig 12, der Zug fuhr bereits. Aber der Lokführer zeigte Herz, bremste noch einmal ab und störte sich nicht daran, dass ich noch rund eine halbe Minute lang die Tür blockierte – bis die anderen Umsteiger ebenfalls angerannt kamen. Zügen nachlaufen ist der letzte wahre Volkssport in Österreich, da bin ich mir ziemlich sicher.

 


Drei weitere Reiseerlebnisse findest du HIER, HIER und HIER.

 

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