Wagenmangel bei den ÖBB

In den letzten Jahren haben sich die Fahrgäste vor allem in der Ostregion (Wien, Niederösterreich, Burgenland) allmählich an etwas gewöhnt, was noch vor 15-20 Jahren so gut wie unbekannt war – an Zugausfälle. Immer öfter führte die Anzeige „Ausfall/Cancelled“ bei Fahrgästen zu Ärger, immer öfter wurden Termine versäumt und Anschlussverbindungen verpasst.


Zu einer Zuspitzung der Situation kam es im Lauf des Jahres 2023 und insbesondere ab Dezember 2023. Betroffen ist überwiegend der Nahverkehr in der Ostregion. Der Fernverkehr, in dem es öfter zu Kapazitätsengpässen als zu kompletten Ausfällen kommt, ist österreichweit von der aktuellen Misere betroffen.


Wobei Misere in einigen Fällen beinahe eine Untertreibung ist: Auf der Südbahn fallen regelmäßig bis zu drei aufeinanderfolgende REX-Verbindungen aus. Dutzende S-Bahnen verkehren statt in Doppeltraktion nur mit einer Garnitur (Im Morgenverkehr des 08.02.2024 betraf dies auf der Wiener Stammstrecke etwa mindestens 15 Umläufe*), was wochentags mittlerweile täglich dazu führt, dass Reisewillige zurückgelassen werden müssen. Auch Doppelstockzüge werden derzeit häufig durch alte S-Bahn-Garnituren ersetzt, was bei einer Führung als Einfachgarnitur rund 65 % weniger Sitzplätze bedeutet. Einzelne Züge auf der Südstrecke sind zuletzt öfter als jeden zweiten Tag ausgefallen. Auf der Inneren Westbahn sind am 10.02.2024 mindestens 19 von 74 REX-Verbindungen ausgefallen.


Im Fernverkehr wurde beispielsweise das Zugpaar EuroCity 158/159 im Herbst 2023 zum InterCity 358/359 degradiert, in der zweiten Klasse kommen dabei nun Nahverkehrswagen aus den 1980er-Jahren zum Einsatz. Statt mit dem Railjet fährt man vom Hauptbahnhof teilweise mit dem Cityjet zum Wiener Flughafen. Im Nachtverkehr führen fehlende Schlaf- und Liegewagen dazu, dass Fahrgäste die Fahrt im Sitzwagen zurücklegen müssen oder zurückgelassen werden. Stark verkürzte Fernzüge mit zu wenigen Sitzplätzen sind abseits des Railjet-Verkehrs mittlerweile die Norm.


Mitte Jänner 2024 sind von 2.700 täglich verkehrenden Nahverkehrszügen der Ostregion teils über 100 ausgefallen, wobei einige Strecken überproportional betroffen waren. Um die Situation zu entschärfen, werden ab 12.02.2024 vorübergehend täglich 50 Nahverkehrsverbindungen in der Ostregion gestrichen oder durch Busse ersetzt. Im Fernverkehr wird etwa das Zugpaar IC 1018/1019 bis auf weiteres mit Nahverkehrswagen geführt und endet statt in Stainach-Irdning bereits in Linz Hbf.

Wie konnte es so weit kommen?


Die Gründe für die aktuellen Zugausfälle sind vielfältig. Zu nennen sind vor allem Lieferverzögerungen bei der Auslieferung neuer Zuggarnituren, Engpässe in den Werkstätten und eine, wie es der ÖBB-Chef nennt, „progressive Planung“ beim Zugangebot.


46 im Jahr 2016 bei Bombardier bestellte Talent-3-Garnituren konnten wegen schwerwiegender technischer Probleme nie in Betrieb genommen werden. Die ersatzweise bestellten 46 Garnituren vom Typ Desiro ML (Baureihe 4748, Siemens) werden seit Dezember 2022 nach und nach geliefert, die letzten werden im Laufe dieses Jahres in Dienst gestellt werden. Der Einsatz dieser Garnituren in Vorarlberg und Tirol spielt Nahverkehrstriebwägen vom Typ „Talent“ (Baureihe 4024, Bombardier) für die Ostregion frei.


Im Fernverkehr wurden Mitte des letzten Jahrzehnts 80 Fernverkehrswagen, die man damals nicht benötigte, nach Tschechien verkauft. Als das Fernverkehrsangebot sukzessive erhöht wurde, bestellte man für den Tagverkehr u.a. acht Railjets der zweiten Generation (nunmehr mit neun Wagen statt mit sieben), deren Auslieferung sich mit Stand Februar 2024 bereits um mehr als ein Jahr verzögert hat. Die ersatzweise verkehrenden Nahverkehrsgarnituren (meist mit wesentlich weniger Sitzplätzen und geringerem Komfort) fehlen auf den Regionalverbindungen.


Ein Rahmenvertrag über bis zu 186 Doppelstock-Triebzüge des Schweizer Herstellers Stadler sollte bereits Ende 2020 geschlossen werden. Wegen eines Formfehlers verzögerte sich der Vertragsschluss jedoch bis Anfang 2022. Der erste Abruf aus diesem Rahmenvertrag – ausschließlich für Nahverkehrszüge – erfolgte im April 2022. Bis zum Einsatz der ersten neuen Doppelstock-Garnituren aus der Schweiz müssen sich die Fahrgäste der Ostregion jedoch noch bis 2026 gedulden.


Der zweite Punkt betrifft schadhafte Züge und Engpässe in den Werkstätten. Züge wie die alten S-Bahn-Garnituren der Reihe 4020, die schon 2019 endgültig ausgemustert werden sollten, aber auch viele neuere Fahrzeuge mit sehr hohen Laufleistungen müssen mit zunehmender Frequenz gewartet und repariert werden.


Mitte Dezember 2023 waren sechs von 60 Railjets nicht einsatzbereit, davon vier wegen Unwetterschäden. Zahlreiche weitere verkehrten mit kleineren Mängeln wie defekten Türen oder Toiletten.


Einige Garnituren müssen wegen Vandalismusschäden (z.B. Graffiti, verstopfte Toiletten) eingezogen werden. Ein einzelner verlauster Obdachloser, der im Winter 2023/2024 sein Unwesen treibt, setzt bisweilen drei Garnituren auf einmal außer Gefecht.


In den Werkstätten herrscht lt. Gewerkschaft dramatischer Personalmangel, auch die angekündigte Wartungsoffensive brachte bislang keine Linderung – was neben dem fehlenden Personal auch auf Lieferschwierigkeiten bei Ersatzteilen zurückgeführt wird. Zum Personalmangel in den Werkstätten gesellt sich ein Lokführermangel – der Beruf des Triebfahrzeugführers findet sich seit Anfang 2024 wieder auf der Liste der Mangelberufe.


Was schließlich die vom ÖBB-Chef so genannte „progressive Planung“ des Angebots betrifft, ist zu sagen, dass im Schnitt etwa 10 % des Fuhrparks als Reserve vorgehalten werden, auch nach den deutlichen Angebotsausweitungen im Dezember 2023. Aufgrund des Wartungsstaus und der aktuellen, teilweise witterungsbedingten Häufung technischer Probleme reichen die Reserven jedoch nicht aus. Die technischen Probleme treten nicht nur an den Fahrzeugen, sondern auch an den Strecken auf. Weichenstörungen gehören gerade im Winter immer noch zum Alltag.


Eine Gewichtung der größten Probleme – Lieferverzögerungen, Wartungsstau, Angebotsausweitung – ist kaum möglich. Eine gewisse Kurzsichtigkeit bei der Angebotsplanung (auch die Fahrzeugbeschaffung betreffend) ist jedoch schwer zu übersehen.

Die weiteren Aussichten


Seitens der ÖBB wird eine Besserung der Situation ab März versprochen. Die vier Railjets, die bei den extremen Schneefällen Anfang Dezember 2023 beschädigt wurden, sind bereits wieder im Einsatz.


Neues Rollmaterial trifft aber eher tröpferlweise ein: Aus Tirol sind für 2024 noch rund zehn Talent-Garnituren zu erwarten, im April dürfte die Lieferung von acht neuen Railjet-Zügen der zweiten Generation beginnen. Diese sind zunächst ausschließlich für die Brenner-Strecke vorgesehen. 19 weitere Züge derselben Serie sind bis 2028 zu erwarten. Ebenfalls im Frühling wird die Nightjet-Verbindung WienBregenz auf neue Garnituren umgestellt, was die Fahrzeugsituation im Nachtverkehr ein wenig entspannen und möglicherweise auch einzelne Sitzwagen für den Tagesverkehr freispielen wird. Von den neuen Nightjet-Garnituren wurden insgesamt 33 bestellt. Dazu kommen ab 2025 weitere 42 (einer offiziellen Quelle zufolge 46) Fahrzeuge vom Typ Siemens ML (Baureihe 4746). Ende Jänner 2024 wurde zudem bekannt, dass die ÖBB in naher Zukunft 33 Großraumwagen** vom tschechischen Unternehmen LEO Express anmieten werden.


Mindestens 109 vier- und sechsteilige Doppelstocktriebwagen vom Typ KISS (Stadler) werden ab 2026 den Nahverkehr bereichern und zuerst in der Ostregion eingesetzt werden. 14 weitere (sechsteilige) Doppelstockzüge vom selben Typ werden zunächst die Railjets (langsamere Linie mit Halten in Tullnerfeld, Amstetten etc.) zwischen Wien und Salzburg ersetzen. Es handelt sich dabei bereits um die dritte Generation von Railjet-Zügen. Drei zusätzliche (fünfteilige) Garnituren werden am City Airport Train verkehren.


Ab 2028 werden die ersten von voraussichtlich rund 200 Mireo-Zügen (Siemens) durch Österreich rollen. Der erste Abruf vom Dezember 2023 umfasst 28 Garnituren für den Nahverkehr und 31 Garnituren für den inneralpinen Fernverkehr (z.B. GrazInnsbruck).


Dazu kommen sechs Elektrotriebzüge vom Typ Coradia Stream (Alstom) für den Brennerverkehr und mindestens 16 (maximal 120) Akkutriebzüge von Stadler (Flirt Akku), die auf nicht elektrifizierten Strecken die alten Dieselgarnituren ersetzen werden.


Die notwendigen Rahmenverträge*** sind seit 2023 unter Dach und Fach, mehrere Bestellungen wurden bereits getätigt. Mit einer echten Entspannung – und einer umfassenden Erneuerung des Fahrzeugbestandes – ist ab 2026 zu rechnen.

 

* Bei einem Umlauf handelt es sich um alle Fahrten, die von einem Fahrzeug in einem bestimmten Zeitraum absolviert werden.

** Ein Großraumwagen ist ein Waggon ohne Abteile. Alle Reisenden sitzen im selben Raum.

*** Vertrag über eine gewisse Menge an Rollmaterial (Lokomotiven, Triebwagen, Waggons etc.), aus dem abhängig vom Bedarf laufend Einheiten abgerufen (bestellt) werden können

Ein Sichtungsbild vom IC 506 Graz-Linz, hier zu sehen in Graz Hbf am 29.09.2023. Bei den drei Wagen zweiter Klasse am Zugschluss handelt es sich um CRD-Wagen aus den 1980er-Jahren.

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